Tag der unsichtbaren Behinderung: Ingelheimer Initiative vernetzt Akteure und rückt Betroffene in den Mittelpunkt
Von Beate Schwenk

Foto: Thomas Schmidt

Petra Maas, Rainer Bargmann, Christina Speicher, Susanne Behne, Cristina Orywal und Konrad Becker (von links) vom Verein „Autismus Rheinhessen“ werben am „Tag der unsichtbaren Behinderung“ mit der Sonnenblume als Symbol für mehr Sichtbarkeit eingeschränkter Menschen im Alltag.

Wenn ein Mensch im Rollstuhl sitzt oder mit einem Blindenstock unterwegs ist, erkennt das Umfeld sofort, dass eine Beeinträchtigung vorliegt. Ganz anders sieht es aus, wenn die Behinderung nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Hier kommt es gerne mal zu Unverständnis, weil die Situation falsch eingeschätzt wird. Zum Beispiel, wenn ein Kind mit Autismus in einer Alltagssituation vermeintlich unangemessen reagiert, weil es mit den einströmenden Reizen überfordert ist. Oder wenn jemand mit einer chronischen Erkrankung sein Fahrzeug auf einem Behindertenparkplatz abstellt, obwohl keine Gehbehinderung erkennbar ist.


Kritische Blicke von Passanten oder unausgesprochene Vorwürfe, das kennen die Betroffenen nur zu gut. Statt sich immer wieder rechtfertigen zu müssen und Situationen zu erklären, gibt es die Möglichkeit, ein Erkennungszeichen zu nutzen. Eine Sonnenblume weist auf eine „unsichtbare Behinderung“ hin. „Gemeinsam das Unsichtbare sichtbar machen“, darum geht es einer Initiative, die vom Verein „Autismus Rheinhessen“ ins Leben gerufen worden ist. Die Initiatorinnen streben den Aufbau eines Netzwerks an, das sukzessive weiterwachsen soll. 

Symbol steht für Verständnis und Inklusion

„Netzwerkarbeit ist ein großes Thema der Zukunft“, sagt Susanne Behne, Vorsitzende des Vereins „Autismus Rheinhessen“. Denn nur indem man die Kräfte bündelt, lässt sich etwas bewegen. Das erste Netzwerktreffen fand jetzt in Ingelheim statt. Anknüpfungspunkt war der „Tag der unsichtbaren Behinderung“, der seit 2024 bundesweit am 20. Oktober begangen wird. An dem Treffen im Ingelheimer Mehrgenerationenhaus nahmen engagierte Ehrenamtler, Betroffene sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Selbsthilfegruppen teil.

Alle Netzwerkpartner eint der Wunsch, die Rahmenbedingungen für Menschen mit unsichtbaren Behinderungen zu verbessern und mehr Akzeptanz zu erreichen. Geschehen soll das unter anderem durch das Symbol einer Sonnenblume, das bereits in vielen Ländern genutzt wird. Das Symbol steht dabei für Offenheit, Wärme und Sichtbarkeit. „Die Sonnenblume ist ein stilles Signal“, erklärt Christina Speicher, die sich im Verein „Autismus Rheinhessen“ engagiert. „Es soll ein Bewusstsein für ein respektvolles Miteinander schaffen.“ Zugleich soll den Betroffenen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtert werden.

In Großbritannien wird die Sonnenblume vielerorts bereits als Erkennungszeichen genutzt und auch verstanden. Den Anstoß gab eine Initiative am Flughafen Gatwick in London, wo Mitarbeitende 2016 ein „Sunflower Lanyard“ entwickelten. Durch das grüne Umhängeband mit Sonnenblume wird die Botschaft ausgesandt, dass man Unterstützung braucht. In Deutschland ist das Sonnenblumen-Symbol noch nicht so verbreitet. Es gibt aber vermehrt Bestrebungen, das zu ändern. Mehrere deutsche Flughäfen haben inzwischen das „Sunflower-Lanyard“ eingeführt, um Menschen mit unsichtbaren Beeinträchtigungen das Reisen zu erleichtern. Wer das Umhängeband trägt, macht seine Umgebung darauf aufmerksam, dass man eventuell etwas mehr Zeit benötigt, um sich zu orientieren, oder dass man häufiger nachfragen muss.

Helfen kann das Symbol auch in anderen Situationen, wie beim Einkaufen im Supermarkt, bei Behördengängen oder öffentlichen Veranstaltungen. Die Sonnenblume ist
gewissermaßen ein dezenter Appell, genauer hin zuschauen und macht lange Erklärungen überflüssig. „Das Symbol erinnert uns alle daran, geduldiger und respektvoller
miteinander umzugehen“, betont Susanne Behne. Fehlende Sichtbarkeit bedeutet nämlich oft fehlendes Verständnis.

Gegen die Unsichtbarkeit von Behinderungen

Beim genaueren Hinschauen wird auch deutlich, wie groß der Kreis der potenziell Betroffenen ist. Das Spektrum der unsichtbaren Behinderungen reicht von Autismus,
Gehörlosigkeit oder Epilepsie über visuelle Wahrnehmungsstörungen, chronische Schmerzen oder Multiple Sklerose bis hin zu seelischen Erkrankungen oder Demenz. Angesichts dieser Dimension ist es umso wichtiger, für das Thema zu sensibilisieren und damit auch Barrieren in den Köpfen abzubauen. Dafür wollen die Netzwerkpartner nun verstärkt in die Öffentlichkeit gehen. Es sollen weitere Vereine, Selbsthilfegruppen und Multiplikatoren mit ins Boot geholt werden. Außerdem ist das Ziel, die Sonnenblume als Symbol für unsichtbare Behinderungen zu etablieren, sodass die Botschaft im Alltag möglichst überall verstanden wird.

Internet: www.unsichtbare-behinderung.de
Kontakt: info@unsichtbare-behinderung.de

Die Sonnenblume setzt ein Zeichen